Wer ist diese “Frau in der Kunst”? Ein Blick wider Willen
Zum Anlass der Verleihung eines dotierten Preises an eine Künstlerin sollte ihr Geschlecht eine unwesentliche Rolle spielen. Die “Frau” scheint jedoch nach wie vor ein Thema zu sein. Marie-Christine Schoel, Doktorandin am Institut für Kunstgeschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, über die Situation der Künstlerin im Feld der zeitgenössischen Kunst.
Wer ist diese “Frau in der Kunst”, fragte ich mich, erst nachdem ich zusagte, zum Anlass der Ausstellung von Brigitte Waldach im Marta Herford einen Beitrag über sie zu schreiben. Aus historischer Perspektive ist sie mir geläufig, in die gesellschaftlichen Zwänge ihrer Zeit eingebunden. Sie rebellierte, machte ihren Körper zum Zentrum ihrer Kunst, entblößte, verletzte ihn und parodierte die sozialen Rollenbilder, die sich, so war es ihr Ziel zu verdeutlichen, nur augenscheinlich durch ihren materiellen Körper festgeschrieben hatten. Sie dekonstruierte die Idee einer männlich konnotierten Autorschaft und stellte die institutionellen Strukturen in Frage, die zu ihrem strukturellen Ausschluss führten. Sie zerbrach den Spiegel, welcher ihr durch die Kunst und die Gesellschaft vorgehalten wurde und setzte ihr Abbild in einer Vielzahl von Fragmenten neu zusammen.
Diese Frau war mir bekannt, als ich mich auf den Weg nach Herford machte, um einzudringen in die Architektur aus Backstein und Edelstahl. In ihrer Einzelausstellung im Marta Herford zum Anlass der Verleihung des Marta-Preises der Wemhöner Stiftung, verwebt Brigitte Waldach die Ausstellungsräume mit ihren raumverzweigenden Arbeiten zu einem mehrdimensionalen Blick auf drei ihrer Werkzyklen.
Die Hartnäckigkeit von Stereotypen und die Performativität von Geschlecht
Angeregt durch Waldachs Arbeit „History Now” (2016), in der sie die kollektiven Schreibprozesse der Internet-Enzyklopädie Wikipedia visualisiert, öffne ich die “demokratische” Suchmaschine. „Um eine Bewegung zu erzeugen oder aufrechtzuerhalten, ist Arbeit notwendig”, erläutert sie mir unter dem Suchbegriff “Reibung”. Über 50 Jahre nach der ersten Generation feministisch arbeitender Künstlerinnen ist die Situation eine andere und doch stellt sich die Lage für Akteurinnen auf dem Kunstfeld nicht als reibungslos dar. Ein Reproduzieren von durch Geschlechterdichotomien informierten Klischees führt weiterhin zu Verschachtelungen und Verkürzungen von Handlungspotentialen aller Geschlechter, natürlich nicht nur auf dem Feld künstlerischer Praxis. Dabei steckt in einem vermeintlichen Dekonstruieren von Stereotypen mitunter eine Reaktivierung derselben.
Das Bild der “Ausnahmekünstlerin” (Isabelle Graw, 2001), die als Einzelkämpferin über eine besondere Stärke und Willenskraft verfügen muss, derer es auch bedarf, sich aus dem Schatten ihres Lehrmeisters hervorzuarbeiten, scheint nach wie vor ein beliebter Topos, auch im Umgang mit der Biografie Waldachs. Über den Ausnahmestatus der Künstlerin reproduziert sich im Endeffekt jedoch ebenso die Machtstellung des Lehrers. Die Machopose und das Tragen von Lippenstift unterstreichen augenscheinlich binäre Geschlechtervorstellungen, doch handelt es sich nur um zwei Facetten einer Mannigfaltigkeit von Geschlechterperformativität.
Geschlechterklischees begegnet Brigitte Waldach mit Humor. Es ist nicht ein explizit weiblicher Blick, sondern es sind Formen von Ausgrenzung, an denen sie interessiert ist. Waldach sieht die Zusammenhänge innerhalb ihrer künstlerischen Arbeit und ihrer Biografie komplexer, als sie auf die Dimension von Geschlecht reduzieren zu können. Durch ihr Werk eröffnet sie einen Blick auf gesellschaftliche Themen, in denen sich Geschlecht vielmehr implizit als soziale Größe widerspiegelt.
Der ‘männliche Blick’ und sein weibliches Pendant
Dass ich zum Anlass der Vergabe des Marta-Preises an Brigitte Waldach das Thema Geschlecht anführe, lässt mich an die Reaktionen im Rahmen der Vergabe des Preises der Nationalgalerie 2017 denken. Dass vier und damit ausschließlich Frauen für den Preis nominiert waren, führte zu einer gesteigerten Thematisierung ihrer Geschlechterzugehörigkeit und ihrer Nationalitäten, sehr zum Ärgernis der nominierten Künstlerinnen, in deren Augen kaum noch über ihre Arbeiten gesprochen wurde. Dabei muss festgehalten werden, dass ein von der jeweiligen künstlerischen Arbeit unabhängiges Herausstellen von Geschlechteridentität mitnichten nur von männlicher Seite erfolgt. Dass der “männliche Blick” nicht nur von Männern inkorporiert werden kann, ist eine Erkenntnis, von der auch Brigitte Waldach berichtet. Der Blick auf die Geschlechteridentität, derer man sich zugehörig sieht, ist mitnichten unverstellt. Es ist ein Prozess des Lernens und Verlernens auf allen Seiten.
Mit dem Spiegel, den uns Brigitte Waldach in ihrer Ausstellung entgegenhält, sehen wir uns unserem eigenen Blick ausgeliefert. Das Vexierspiel aus vervielfältigten Körpern, Blicken und einem angeblickt werden, versetzt uns in einen Wahrnehmungstaumel, durch den die räumlichen Grenzen und die Grenzen zwischen Ich und Abbild zunehmend verschwimmen. Die Selbsterkenntnis im Spiegel weicht einem „Willen zur Oberfläche”, den Brigitte Waldach unter der jungen Generation von Künstler*innen ausmacht. Die Schnelligkeit mit der junge Künstler*innen im Kunstbetrieb agieren (müssen), lässt, so Waldach, kaum Zeit für tiefergreifende Analysen. Die „Attraktivität der Oberfläche” informiert nicht nur aktuelle künstlerische Tendenzen, sondern auch einen zeitgenössischen Feminismus, der für sein Adaptieren stereotyper Weiblichkeit durchaus kritisiert wird. Dabei kann in einem Herausstellen der Oberfläche auch insofern ein Potential gelesen werden, als dass sich darin die Rückbindung an eine essenzielle Geschlechteridentität aufzulösen vermag.
Wann ist das Thema “Frau” kein Thema mehr?
Letztendlich sind es die konkreten Fälle sexueller Diskriminierung, die die Notwendigkeit eines Agierens im Kunst- und Kulturbetrieb deutlich vor Augen führen. Die durch Monika Grütters jüngst ausgerufene Umfrage zu Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt in der deutschen Kultur- und Medienbranche deutet die Schieflage im Betrieb an. Die Auswertung der Umfrage wird hoffentlich ein Bild der Situation bereitstellen, welches über die einzelnen Bekundungen von Betroffenen hinaus eine strukturelle Analyse zulässt, auch im Hinblick auf die Verschränkung von Geschlecht und race. Dabei werden mögliche Maßnahmen für ein Gelingen von Gleichberechtigung längst erfolgreich “im Feld” erprobt. Dass unsere skandinavischen Nachbarn die Quote heute mit einer Selbstverständlichkeit leben, zeichnet sich für Brigitte Waldach im Austausch mit den Direktor*innen der sie vertretenden Galerie Bo Bjerggaard in Copenhagen deutlich ab. Für Waldach ist insbesondere die Stärkung des Selbstbewusstseins junger Frauen von Relevanz. Das Bewusstsein Nein sagen zu dürfen und eine Lockerheit und Gelassenheit in der Vereinbarkeit von Beruflichem und Privaten sind in ihren Augen für die Entwicklung von Künstlerinnen entscheidend.
Wann das Thema “Frau” im Kunst- und Kulturbetrieb kein Thema mehr sein wird, ist wohl ungewiss. Nach dem „Global Gender Gap Report” des Weltwirtschaftsforums von 2018 schließt sich der Gender Gap in 106 Jahren. Zum Glück lässt uns das noch Zeit, über Geschlechterklischees zu lachen. In der Zwischenzeit können wir die Arbeiten von Künstlerinnen wie Brigitte Waldach rezipieren, die mit ihren installativen Werken die Elastizität von Raum bildhaft und physisch werden lässt und sich in den bisweilen (noch) männlich konnotierten Kunsträumen mehrdimensional verspannt.
Über die Autorin:
Marie-Christine Schoel M.A. ist Doktorandin am Institut für Kunstgeschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. In ihrer Promotion mit dem Titel “Installation und Geschlecht” geht sie der räumlichen Dimension feministischer Ausstellungspraktiken nach. Von 2018 bis 2020 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte der WWU. Derzeit unterrichtet sie am GeStiK-Zentrum für Genderstudies der Universität zu Köln zu queer-feministischen Raumtheorien und raumreflexiven künstlerischen Praktiken.