Wie können sich Museen zu Dritten Orte formen, oder: Es muss nicht immer Lars Eidinger sein
Passt ein Partyformat ins Museum? Für die Ausstellung „Im Licht der Nacht – Vom Leben im Halbdunkel“ wagten wir dieses Experiment und haben zur „Autistic Disco“ mit Schauspieler, Künstler und DJ Lars Eidinger geladen.
Alle sprechen derzeit von Museen als „Dritte Orte“. Auch meine Kollegin aus der Bildung & Vermittlung berichtete hier bereits auf dem Marta-Blog, wie sich Kulturstätten zu einem weiteren Lebensmittelpunkt der Menschen wandeln können. Die Diskussionen über Dritte Orte und wie man sich als Museum dahin entwickeln kann, sind zwar zweifelsohne wichtig, gleichzeitig empfinde ich sie mittlerweile als etwas eintönig. Viele Museen oder Kultureinrichtungen haben es sich auf die Fahnen geschrieben, als weiterer Lebensmittelpunkt zu einem offeneren, barrierefreien Raum für Besucher*innen zu gelten. Damit sind natürlich auch Vermittlungsangebote oder ein Begleitprogramm gemeint, die den Dialog zwischen Betrachter*in und den präsentierten Werken herstellen, vertiefen oder die Besucher*innen mit neuen Fragen oder Antworten entlassen. Das sind Maßnahmen, die bereits – neben der Erhöhung der Aufenthaltsqualität – umfassend in der Museumslandschaft umgesetzt werden. Aber sind sie der Schlüssel zur Transformation in einen „Dritten Ort“? Ich vermute fast: Museen müssen mutiger werden.
Die Hürde der Öffnungszeiten
Auch für uns ist es ein großer Wunsch, dass die Besucher*innen „ihr Marta“ als weiteren Lebensmittelpunkt begreifen, und das muss nicht immer ein stundenlanger Ausstellungsbesuch sein: Ein kurzer Stopp in den Gehry-Galerien, Kaffee-Dates mit Freund*innen in der kupferbar oder im Idealfall die Wahrnehmung eines Vermittlungsangebotes, bei dem man gemeinsam ins Gespräch kommt, wären dabei mögliche Szenarien. Aber ist nicht eine der größten Hürden auf dem Weg zum „Dritten Ort“ die immer noch sehr konservativen Öffnungszeiten? Denn diese erstrecken sich in den meisten Museen von Dienstag bis Sonntag von 10 oder 11 Uhr bis 17 oder 18 Uhr – ein Problem für viele arbeitende Museumsbesucher*innen. Wir nehmen uns im Marta davon nicht aus, versuchen aber durch Formate wie Marta22, also einer verlängerten Öffnungszeit bis 22 Uhr am ersten Mittwoch im Monat, diese Hürde zu nehmen. Würden Museen nachts geöffnet haben, würde sich das Besuchsverhalten, ja sogar die Zielgruppe ändern? Jedoch: Was würde das auf Dauer für unsere Kolleg*innen im Besucherservice bedeuten?
Attraktivität erhöhen
Die Museen – vor allem diejenigen außerhalb der Metropolregionen und einem großen touristischen Einzugsgebiet – eint ein Hauptanliegen: Sie möchten neben vielen weiteren Freizeitangeboten eine große Attraktivität für ihre Zielgruppe schaffen. Im Zentrum steht dabei meist ein überraschendes, kluges und abwechslungsreiches Ausstellungsprogramm. Thematisch passende Veranstaltungen sollten den Museumsbesuch noch reizvoller gestalten und vor allem den Zugang zu (zeitgenössischer) Kunst und Kultur vereinfachen.
Nachts im Museum… mit Lars Eidinger und Bonnie
Bei den Planungen zur Ausstellung „Im Licht der Nacht“, die sich mit den Phänomenen einer entgrenzten Nacht auseinandersetzte, lag es für uns auf der Hand, dass Marta in mindestens einer Nacht der Laufzeit komplett geöffnet bleiben sollte. Auch das Thema „Nachtleben“, das innerhalb der Ausstellung anklang, sollte sich in irgendeiner Form im Begleitprogramm widerspiegeln. Schnell war die Idee geboren, das Partykonzept „Autistic Disco – Pop is pop and art is art“ ins Marta zu holen – eine Veranstaltungsreihe, die der Schauspieler Lars Eidinger (Autistic Disco/!K7) schon seit fast 20 Jahren an der Berliner Schaubühne veranstaltet. Supported wurde er in der Nacht am 25. Januar von Bonnie (Musique Couture/ In Love With), die bereits für Lady Gaga vor ihrem Auftritt im Berghain eröffnete.
Aber unsere Besucher*innen sollten nicht ausschließlich zum Feiern kommen: Die Öffnungszeiten der Ausstellungen wurden deutlich verlängert, eine Urban Stylez-Tanzperformance mit Dhélé Tchekpo Agbetou und seiner Wake Up OWL Young Company (Bielefeld) weihte kurz vor der Party die Tanzfläche ein und die neue Ausstellung „Navid Nuur“, die eigentlich erst am nächsten Tag in der Lippold-Galerie eröffnete, konnte mit dem Künstler selbst als Preview erlebt werden. Im Marta-Forum zeigten wir passend zur Autistic Disco einen Teil der „Hotel Rooms“ – die Fotos seiner Hotelbetten-Serie präsentierte Lars Eidinger bis dato nur auf Instagram.
Ostwestfalen auf der Tanzfläche
Nach dem Vorprogramm betrat dann ab 23 Uhr Bonnie das DJ-Pult. Sollte das Gerücht wirklich stimmen, dass die Ostwestfalen eine Tanzfläche – wenn überhaupt – erst nach ein paar Bier betreten, wurde es in dieser Nacht widerlegt. Bonnie konnte mit ihrem Set die rund 700 Gäste sofort für sich gewinnen und es herrschte eine ausgelassene Stimmung auf der Tanzfläche. Gegen 00:30 Uhr begann dann Lars Eidinger mit einem Set, das sich aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen zusammensetzte, für ihn immer aus dem Moment heraus entsteht und jedes Genre bedient – von Pop, über Rock, Techno oder Hip Hop.
Klebetattoos im Schweinwerferlicht
Mich hat diese Nacht sehr berührt. Berührend waren vor allem die vielen glücklichen Menschen, die bis 5 Uhr früh in der Marty-Lobby tanzten. Im bunten Scheinwerferlicht traten beim genauen Hinsehen die zahlreichen Marta-Herford-Klebetattoos zum Vorschein, die das Team der Öffentlichkeitsarbeit den Gästen bereits zu Beginn des Abends auf diverse Köperstellen klebte. Diese Aktion war eigentlich als Gag gedacht, ein bisschen auch als Reminiszenz an Lars Eidingers bunte Gesichtsticker, die er zur Autistic Disco trägt. Und dennoch wurden plötzlich diese Marta-spezifischen Klebetattoos auch zu einem Bekenntnis der Partygäste für „ihr Marta“.
Teamwork
Bemerkenswert war auch die Euphorie für die Veranstaltung, die sich durch das ganze Museumsteam trug. Und das, obwohl sich das Orgateam um die Autistic Disco plötzlich mit ungewohnten Fragen zu Sicherheit, Einlasskontrollen und Toilettenkapazitäten beschäftigen musste, um aus den Museumsräumen eine adäquate Partylocation zu gestalten. Aber unser Plan ist aufgegangen: Die positiven Stimmen im Netz überschlugen sich, forderten eine Wiederholung dieser „magischen“ Nacht, die viele als perfekte Mischung zwischen Disco und Kunst erlebten (wie hier ein*e Besucher*in über Instagram).
Junge Menschen auf Biegen und Brechen?
Und trotzdem fragen Kritiker*innen zurecht: Wo ist der Mehrwert einer solchen Veranstaltung, also einer Party, die auf dem ersten Blick nichts mit Kunst zu tun hat? Museen bzw. Kultureinrichtungen müssen sich prinzipiell schon mal den Vorwurf gefallen lassen, dass sie durch solche Formate auf Biegen und Brechen junge Menschen ins Museum ziehen möchten. Ich würde lügen, wenn ich leugnete, dass Marta sich nicht auch mehr von den Jungen wünscht. Aber bei einem Partyformat wie der Autistic Disco mit Lars Eidinger ging es uns vor allem um einen Schwellenabbau, der thematisch hervorragend zur Ausstellung passte.
Der Abend hat gezeigt, dass zwar viele Menschen die Präsenz von Lars Eidinger als Anlass für ihren Besuch nahmen, aber dennoch: Ein Großteil der Gäste war bereits Stunden zuvor bei launchiger Musik durch die Galerien gestreift, um sich mit den Werken der Ausstellung „Im Licht der Nacht“ auseinanderzusetzen, beim Künstlertalk Navid Nuur zu begegnen oder mit Freund*innen in Sitzsäcken über Eidingers Insta-Kunst zu diskutieren. Und obendrauf gab es eine Party, die durch das Publikumsgespür und die Energien von Bonnie und Lars die Massen so sehr begeisterte.
„It‘s no better to be safe than sorry. Take on me.“
Ich kehre nun zum fast schon abgegriffenen Begriff des „Dritten Ortes“ zurück: Es muss ja nicht immer Lars Eidinger sein, aber sollten Museen nicht genau das erreichen? Sollten sie nicht dafür sorgen, dass die Hemmschwelle einen „Kunsttempel“ zu betreten niedriger wird? Dass die Auseinandersetzung mit Kunst auch mal mit einer ausgelassenen Partynacht kombinierbar ist, wenn es inhaltliche Anknüpfungspunkte gibt? Selbstverständlich stehen den Kultureinrichtungen vor allem finanzielle Unwegsamkeit und manchmal auch die Machbarkeit im Weg, trotzdem: Museen sollten viel mutiger sein, viel mehr wagen, viel mehr ausprobieren. Oder um es mit den Worten des a-ha Frontmannes Morten Harket zu sagen, der in den Sets der Autistic Disco eine wichtige Rolle spielt, weil Lars Eidinger ihn bereits seit Kindertagen verehrt: „It‘s no better to be safe than sorry. Take on me.“
8 Replies to “Wie können sich Museen zu Dritten Orte formen, oder: Es muss nicht immer Lars Eidinger sein”
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Der „Dritte Ort“ wird so vermutlich attraktiver, die ausgestellte Kunst bestimmt nicht! Auch ich nehme bei mir und in meinem Umfeld wahr, dass das Interesse an zeitgenössischer Kunst (ver)schwindet. Ich denke das sind die Folgen des herrschenden Kunstbetriebs, und erfolgreiche Künstler die sich an langweiligen Referenz, Recherche und andere „Methoden“ abarbeiten und marktkonform produzieren. Was dabei herauskommt sind ein Haufen Harmlosigkeiten, nette Einfälle und auch noch fehlender „Glanz“.
Lars Eidinger kann dann das „Dritte Publikum“ mit seiner 2.Semester Kunststudium Bettenausstellung und einer tollen show zum Flow bringen, das ist auch gut und schön, aber eben eine ganz andere Kategorie.
Meine Frage ist, warum über die Krise der Kunst nicht gesprochen wird,
es scheint regelrecht ein Tabu zu sein.
Ich glaube übrigens dass es eine „Dritte Lösung“ gibt …
Liebe Angelika Zeller,
ich gebe Ihnen recht – die ausgestellte Kunst steht für sich und ein einziges Veranstaltungsformat wird sicherlich nicht dafür sorgen, sie „attraktiver“ zu machen. Dennoch: Uns ging es bei diesem Party-Experiment um einen Schwellenabbau, der tatsächlich auch geglückt ist. Viele Besucher*innen nahmen zwar an dem Abend die Party als Anlass, um Marta zu besuchen, setzten sich aber zum Teil intensiv vorher mit der Ausstellung „Im Licht der Nacht“ auseinander. Einige von Ihnen erlebten an jenem Abend ihren ersten Marta-Besuch und waren von der Kombination begeistert.
Ihre Kritik zum herrschenden Kunstbetrieb bzw. der zeitgenössischen Kunst im Allgemeinen kann ich an der Stelle nicht ganz teilen. Vielmehr habe ich den Eindruck, wenn ich auch so auf unser Besucher*innenecho blicke, dass das Interesse an zeitgenössischer Kunst stärker denn je ist. Zum Glück! Denn nur so kann es weiterhin gelingen, dass wir hier im Marta mit (stellenweise unbequemen) Fragestellungen, gesellschaftliche, politische und soziale Diskurse anregen.
Welche „Dritte Lösung“ könnten Sie sich vorstellen?
Herzliche Grüße aus Herford
Daniela Sistermanns
Liebe Daniela Sistermanns,
vielen Dank für Ihre Antwort. Sicher ist Ihr Museum für eine solche Art der Kunstvermittlung da und macht das auch sehr gut. Für die einen wird es geöffnet, andere werden sich nicht mehr angesprochen fühlen.
Herzliche Grüße,
Angelika Zeller
Liebe Angelika,
natürlich kann man mit Formaten wie einem Party-Abend in den Museumsräumen nicht alle Besucher*inne gleichermaßen begeistern. Genau aus diesem Grund bieten wie verschiedene Zugänge und Vermittlungsformate an – digital wie analog. Da gibt es Führungen für alle Altersstufen, Führungen mit Gesprächspartnern, die über den Tellerrand der Ausstellung blicken lassen, Führungen für Sehbehinderte und Blinde. Marta 22-Abende, an denen ab 18 Uhr freier Eintritt ist. Marta delikat, Marta philharmonisch, Architekturgespräche, die auch online übertragen werden für all diejenigen, die nicht ins Museum kommen können und, und, und. Wir versuchen uns gleichermaßen allen Besuchergruppen zu öffnen und hoffen, dass auf diesem Wege niemand auf der Strecke bleibt. Ansonsten: Wie Sie hier merken sind wir sehr offen für konstruktive Kritik und nicht taub für Wünsche 😉 Liebe Grüße, Marcella aus der Öffentlichkeitsarbeit