#BesucherMacht – Verändern inklusive
Ein Kunstwerk funktioniert natürlich nicht wie eine Gebrauchsanweisung, die dem Betrachter vorschreibt, wie es zu betrachten wäre.
Im Gegenteil, Kunst lebt insbesondere weil sie dem Betrachter etwas zumutet, was dieser als eigene Momente von Fremdheit, Irritation, Abweichung, Subtilität usw. erfahren kann. Und in bestimmten Fällen erwarten Werke ganz explizit, dass der Betrachter zum Teilnehmer des Geschehens wird.
Der Begriff Besucherpartizipation bzw. Publikumsbeteiligung beschreibt eine Tendenz zeitgenössischer Kunst, nach der der Betrachter die Möglichkeit erhält, den Zustand eines Werkes aktiv zu verändern und im günstigsten Fall aufgrund dieser Veränderung zu erweiterten Einsichten über die Funktion und Wirkung von Kunst zu gelangen. In der Marta-Ausstellung „Asche und Gold“ (2012) konnte der Besucher zum Beispiel von Felix Gonzales Torres´ Bonbon-Berg naschen und so dazu beitragen, dass sich die äußere Gestalt des Werks in Form eines Haufens aus Candy Spills langsam auflöste. Partizipation dieser einfacheren Art, in der der Betrachter eine vorgegebene Option realisiert, führt zwar zur Selbstreflexion der Kunstwahrnehmung des Betrachters – verändert aber letztlich nicht das traditionelle Konzept eines Werks.
Heute wird die Option der Partizipation immer expliziter auch als aktive Mitarbeit am Kunstgeschehen realisiert, das selbst in offenen, dynamisch kommunizierenden Bezügen entsteht. Der „Inhalt“ einer Besucherbeteiligung besteht dann in der Freisetzung und kontrollierten Weiterbearbeitung von Besucherreaktionen: Christian Falsnaes etwa animiert Besucher zu individuellen Reaktionen, die, vermittelt durch eine App, das eigene Handeln im Raum als Betrachtung von Kunst zu einem performativen Akt werden lässt. Überträgt man diese Form der Einbeziehung auf die Kunst insgesamt, so könnte man sagen, dass jede Form von Betrachtung im Kunstkontext den Betrachter dazu „zwingt“, sich allen möglichen Reaktionen auf ein Geschehen im Raum zu stellen: jeder Betrachter besitzt oder erzeugt unterschiedliche Möglichkeiten, um auf Angebote oder Zumutungen eines Werkes spielerisch, reflektierend oder sonstwie teilnehmend zu reagieren – und damit die Grenzen der Werkbetrachtung zu verändern.
Eine unterschwellige, aber vielleicht nicht unbedeutende Form von Partizipation ist das Handeln des Betrachters durch seinen eigenen selbstbewussten Blick. Ich betrachte jetzt meine Situation, die die Teilnahme am Kunstgeschehen als mein eigenes Handeln offenbart: Die Partizipation verhält sich zu meinem eigenen Blick, wie die heilige Kommunion zur Kunst – man kann diesem übertriebenem Vergleich zustimmen oder ihn ablehnen. Ob er/ sie will oder nicht – der Betrachter/ Leser ist hier in jeder Beziehung zum Beteiligten geworden. Partizipation heißt hier, das Publikum jetzt unter Spannung zu setzen, es gezielt in ein setting von inneren Widersprüchen zu versetzen, sodass weder Künstler, Kuratoren noch Betrachter letztlich wissen, wie Partizipation die Kunst und ihre Kommunikation noch raffinierter verändern wird.
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