Der #KultBlick aus Sicht einer Ausstellungsmacherin
Wie schauen KuratorInnen auf Kultur, gibt es einen erlernbaren #KultBlick? Nachdem gestern unsere Leiterin der Presse & Öffentlichkeitsarbeit Daniela Sistermanns über ihren #KultBlick berichtete, gibt heute Marta-Kuratorin Friederike Fast Einblicke in ihren #KultBlick.
Sehsüchtig
Natürlich sind alle KuratorenInnen gewissermaßen „sehsüchtig“ – wir können einfach nicht genug bekommen, uns Bilder, Skulpturen, Filme und andere künstlerische Beiträge anzusehen. In meinem Fall beschränkt sich diese „Sucht“ aber keinesfalls nur auf die Kunst. Bereits als junges Mädchen habe ich eine enorme Begeisterung auch für Architektur, Design, Musik, Theater und Literatur aufbringen können. Es geht eher um die Reize der Sinne und die geistigen Herausforderungen, die Kunst und Kultur erzeugen, die für mich von großer Bedeutung sind. Umso großartiger ist es, dass ich in meiner aktuellen Tätigkeit als Kuratorin im Marta Herford verschiedene Disziplinen verbinden kann. So haben wir z.B. für unsere aktuelle Ausstellung „Revolution in Rotgelbblau – Gerrit Rietveld und die aktuelle Kunst“ KünstlerInnen eingeladen, die utopischen Ansätze von De Stijl neu zu untersuchen. „Wie wollen wir leben?“ – diese zentrale Frage ist heute genauso aktuell wie vor 100 Jahren. Kultur ist ein wichtiges Mittel, um die Lebensumstände immer wieder zu beleuchten und das nicht nur im Kopf oder auf dem Papier, sondern im Idealfall mit allen Sinnen. Gerade im digitalen Zeitalter ist die sinnliche Erfahrung unerlässlich.
Die Freiheit der Kunst
Fast jeder wird einsehen, dass Goethe und Schiller einen wichtigen Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte geleistet haben. Bei zeitgenössischer Kunst ist das oftmals ein wenig schwieriger. Was sie wirklich für eine Gesellschaft bedeutet, wird für viele erst dann nachvollziehbar, wenn ihre Freiheit eingeschränkt wird – so zum Beispiel durch politische Eingriffe. In der nächsten Woche reise ich nach Budapest, um mir dort die „Off-Biennale“ anzusehen. Die KollegInnen dort veranstalten bereits zum wiederholten Male ein künstlerisches Großevent. Allein auf Basis privater Mittel, ganz ohne Unterstützung von öffentlicher Seite, zeigen sie Kunst in Off-Spaces wie privaten Wohnungen, Galerien und kleineren Institutionen.
Gerade in Ländern wie Ungarn ist das private Engagement für die Kunst und Kultur von besonderer Relevanz. Die KünstlerInnen rücken dort zusammen, um für die Freiheit der Kunst einzustehen. Und auch hierzulande sollten wir uns immer wieder für die Freiheit der Kunst stark machen. Ich persönlich versuche das, indem ich die KünstlerInnen darin unterstütze, ihre Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. Solche Freiräume sind wichtig für eine Gesellschaft, die in vielen Bereichen von Sach- und permanenten Optimierungszwängen angetrieben wird.
(Kultur-) Blickwechsel
Für mich ist es aber auch sehr wichtig, diesen Einblick in andere gesellschaftliche Systeme und ihr Kulturschaffen zu erhalten, um die eigenen blinden Flicke ein wenig zu beleuchten. Ein wichtiger Beitrag von Okwui Enwezors documenta 11 war, dass er für die Beschränktheit des eigenen Kunstverständnisses sensibilisiert hat. Indem er zahlreiche KünstlerInnen aus der gesamten Welt eingeladen hat, hat er auf die Geschlossenheit unserer eigenen kulturellen Systeme hingewiesen. Wir können unsere spezifische Perspektive sicher nicht ablegen (und das sollte in meinen Augen auch nicht das Ziel sein), aber es ist doch sehr wichtig, diese immer wieder zu öffnen, auch wenn dies gelegentlich zu Verunsicherungen führt.
Hinweis:
Hier finden Sie den #KultBlick aus der Öffentlichkeitsarbeit.
11 Replies to “Der #KultBlick aus Sicht einer Ausstellungsmacherin”
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Liebe Friederike,
die Biennale in Budapest klingt so toll. Und nach frischem Input. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht so einfach ist, immer wieder die künstlerischen Positionen der Zeit herauszufiltern. Man muss dazu wahrscheinlich seine Augen überall haben. Danke, dass du uns an deinem Blick teilhaben lässt.
Liebe Grüße
Anke
Liebe Friederike,
vielen Dank für diesen eindrücklichen #KultBlick. Ich lese gerade die Beiträge zur Blogparade rückwärts, da in den letzten 3 Tagen 30 Artikel dazu eingingen, einer schöner als der andere und alles nicht einfach zu verdauen. Beispielsweise las ich heute Sylvias aka @Brotweins #KultBlick (76!), die mit zeitgenössischer Kunst wenig anfangen kann. Eine Frage des Zugangs. Zum anderen musste ich an das Deutsch-Ungarische-Museum denken, dass leider die Social-Media- und vor allem Blogpräsenz einstellt. Wie gut tut es da, eure Offenheit für die Blogparade zu erfahren mit gleich zwei Beiträgen mit unterschiedlichen Perspektiven.
Ja, ich bedauere es sehr, dass ich mal nicht eben so zu euch kommen kann. Umso mehr schätze ich es dafür, hier etwas von euch, eurer Gedankenwelt mitzubekommen!
Vielen herzlichen Dank dafür und frohes Gelingen für alles!
Herzlich,
Tanja
Liebe Anke, liebe Tanja,
vielen Dank für Eure Rückmeldungen.
Die Reise nach Ungarn war sehr interessant. Die Off Biennale hat sich auch in diesem Jahr einem tollen Thema gewidmet: Unter dem Titel „Gaudiopolis“ haben die KollegInnen ein hisotorisches Projekt in Erinnerung gerufen und zeitgenössische Künstler eingeladen, um heute daran anzuknüpfen. “The City of Joy” war eine Art Republik für Kinder, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Budapest gegründet wurde und bis 1950 bestand (s. auch: http://offbiennale.hu/en/gaudiopolis-2017). Das Projekt bot Hunderten von Kindern Zuflucht, die ihre Eltern durch den Krieg verloren – unabhängig von Religion, sozialer Herkunft oder Nationalität. Sie wählten eigene Vertreter und verabschiedeten Gesetze, die für alle (einschließlich der Lehrer) galten. Mit diesem Projekt haben die ungarischen KollegInnen nicht nur auf die Folgen von Krieg und Zerstörung hingewiesen, sondern auch auf subtile Weise die Frage nach der Bedeutung von Demokratie heute gestellt, eine Frage, die in Ungarn und Gesamteuropa heute aktueller denn je ist. Besonders gefiel mir, dass die Präsentation ganz ohne jene Überwältigungsstrategien auskommt, die andernorts – wie zum Beispiel im „Haus des Terrors“ in Budapest – zelebriert werden.
Ansonsten kann ich eine Reise nach Ungarn grundästzlich nur empfehlen. Sie eröffnet immer wieder neue Eindrücke und vervollständigt ein Bild von einem Land, das durch unsere Medien immer nur sehr ausschnitthaft vermittelt wird.
Beste Grüße
Friederike