Wild Hunt – Schatzsuche mal anders
Sich noch einmal auf eine abenteuerliche Schatzsuche begeben, verschlüsselten Hinweisen sowie Spuren folgen und letztendlich den kostbaren Schatz in den eigenen Händen halten.
Wer hätte gedacht, dass ich diesen Kindheitstraum während meines Praktikums im Marta Herford tatsächlich noch einmal verwirklichen kann? Anlässlich der bevorstehenden Ausstellung Mark Dion – Widerspenstige Wildnis begab ich mich inmitten meiner Piratenbande, bestehend aus den Kuratoren und mir, auf eine aufregende, außergewöhnliche und beinahe skurrile Schatzsuche für den Künstler Mark Dion.
Von Patronenhülsen und Puppengliedern
Mark Dion ließ uns eine mehrseitige, handschriftlich verfasste Liste aller Materialien zukommen, die er für seine Installationen vor Ort benötigte. Die Liste diente uns in den folgenden Monaten als Schatzkarte. Diese künstlerisch transformierte Orientierungshilfe reichte von alltäglichen Objekten wie Milchkartons über bizarre Materialien wie einen Katzenschädel bis hin zu losen Puppengliedern. Auch Jagdutensilien wie eine nicht funktionstüchtige Schrotflinte und Patronenhülsen sollten wir auf unserer Suche erbeuten. Durch die Vielfalt der unterschiedlichen Materialien erschien jedes Objekt für mich zunächst als ein irritierender, kurioser und kaum nahbarer Fremdkörper. Diese verschiedenen Gegenstände ergaben in meiner Vorstellung zunächst kein wirkliches Gesamtbild und ließen mir Raum zum Rätseln.
Recycelte Schätze
Jeden Dienstag begab ich mich mit Marta-Kuratorin Friederike Fast auf Schatzsuche. Die Secondhand-Läden in Herford, Bünde und Bielefeld boten großartigen Raum für unsere Freibeuterei. Was zu Beginn einer eher zögerlichen und unsicheren Suche glich, entfaltete sich im Laufe der Zeit zu einer zielgerichteten Jagd, die auf unserem Bauchgefühl und unserem Gespür für passende Objekte aufbaute. Seltsame, alltägliche, provozierende und banale Kostbarkeiten, gern auch mit Gebrauchsspuren und einer biografischen Aura, waren genau jene Schätze, die wir suchten. Mit einem Kribbeln in den Fingerspitzen näherte ich mich jedes Mal aufs Neue den großen, vollgepackten und anmutigen Gitterboxen. Weihnachtsschmuck, Besteck, Bücher, Geschirr, Töpfe, Elektroartikel, Lampenschirme und Spielzeug gab es hier soweit das Auge reichte. Wir durchforsteten jede einzelne Dose in den Gitterboxen, jeden in Papier gewickelten Gegenstand und schreckten auch nicht davor zurück, mit vollem Körpereinsatz in den Müllcontainern der Secondhand-Läden zu stöbern, um letztendlich eine der Kostbarkeiten in den Händen zu halten, nach der wir mit Hilfe unserer Schatzkarte suchten. Jedes Fundstück entfachte ein Glücksgefühl in mir. Ich verspürte einen neuen Drang, die Lust und die Freude einen weiteren alltäglichen, banalen oder kuriosen Gegenstand inmitten der riesigen Gitterboxen zu erbeuten. Jedes der Objekte steckte aufgrund seiner biografischen Spuren voller mysteriöser Geschichten. Die Suche war ein visuelles Erlebnis, das mich stets aufs Neue in seinen Bann zog. Ich fühlte mich wie in einem Paradies, eine Sensation für alle meine Sinne. Ich roch, sah, hörte und ertastete die Fundstücke weit über die in unserer Liste vermerkte Beute hinaus.
Das „Büro der Skurrilitäten“
Unsere Beute horteten wir zunächst im Kuratorenbüro, bevor sie ihren Weg in das Marta-Depot fand. Nicht selten lief ich – als eine recht zierliche Person – beladen mit Bogensägen, Äxten, Beilen, Kettensägen und Gartenkrallen an den Büros der Kollegen vorbei und erntete durchaus amüsierte und teils auch schockierte Blicke. Neben der Bibliothek der Kuratoren fanden nun Kisten mit einem präparierten Kugelfisch, Puppengliedern, Uhren, Büchern, verschiedenen Dosen, Sturmlampen und Benzinkanistern ihren Platz. Unsere kuratorische Assistentin Ann Kristin Kreisel nannte meinen Arbeitsplatz liebevoll das „Büro der Skurrilitäten“. Der Blick auf unsere wöchentliche Ausbeute erfüllte mich mit Euphorie und Stolz. Hier im Büro begann für mich der Prozess des bewussten Reflektierens und Sehens. Erst das Gesamtbild offenbarte, dass sich die Einzelstücke in der Summe zu einer Einheit fügten und trotzdem jedes für sich einzigartig blieb.
E-Mails und Päckchen statt Flaschenpost
Im Anschluss an unsere Schatzjagd dokumentierte ich die jeweiligen Gegenstände anhand von Fotos und sendete Mark Dion diese per E-Mail. Der Künstler gab uns in jeder seiner E-Mails neue Impulse für unsere Schatzsuche und öffnete unseren Blick für die „small, curious beautiful and extraordinary [things]“. Doch er stand uns nicht nur per E-Mail mit neuen Hinweisen und Spuren zur Seite, sondern bereicherte unsere Jagd auch aktiv mit eigens von ihm zusammengestellten Schatztruhen in Form von Paketen. Sie kamen fein säuberlich gepackt an, sobald wir aber den Deckel öffneten, begann der Inhalt förmlich zu explodieren. Die Päckchen bestanden aus einer Vielfalt an antiken und besonderen Schätzen wie Puzzleteilen, schönen Dosen und Schachteln, Muscheln und Fingerpuppen. Doch Mark Dion wäre vermutlich nicht Mark Dion und das kuratorische Büro nicht länger das der Skurrilitäten, wenn in den Päckchen nicht auch bizarre Kostbarkeiten wie Tierknochen oder eine Schlangenhaut zu finden gewesen wären.
Neue Spuren zu alten Schätzen
Es ist kaum zu glauben, doch nach einem monatelangen Sammeln, Suchen und Rätseln neigt sich unsere Schatzsuche nun dem Ende zu. Das Depot von Marta Herford beherbergte über Wochen hinweg unsere Fundstücke und der Berg der Ausbeute wuchs stetig an. Doch wo ein weinendes Auge ist, ist auch ein lachendes: Sicherlich werde ich mich ab der Eröffnung am 23. Oktober inmitten von Mark Dions Installationen auf eine neue, aufregende und erstaunliche Spurensuche nach unseren erbeuteten Kostbarkeiten begeben – zusammen mit den Besuchern…
Text und Fotos von Simona Herzig.
Simona Herzig ist Studentin des 2-Fach-Bachelors „Mode-Textil-Design“ sowie „englischsprachige Literatur- und Kulturwissenschaften“ an der Universität Paderborn. 2015 absolvierte sie ein Praktikum im kuratischen Team von Marta Herford und ist seit dem als ehrenamtliche Unterstützerin tätig.
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